Staub, Schweiß und Sterne: Der Desert Dash 2024 – Rennbericht von Aaron Wehde

Endlich wird es etwas kühler, die Straßen flacher. Die Sonne ist seit knapp drei Stunden
untergegangen. Meine Lampe beleuchtet ein Fleckchen Schotter und Sand vor dem Vorderreifen,
während aus den Kopfhörern „The Show Must Go On“ von Queen tönt – Komischer Zufall. Zum
ersten Mal seit 190 Kilometern macht das Radfahren ernsthaft Spaß. Wurde auch so langsam Zeit,
schließlich liegen „nur noch“ 210 Kilometer vor mir.
Aber Moment mal, was mache ich eigentlich alleine, mitten in der Nacht auf meinem Fahrrad,
irgendwo im großen Nichts zwischen Windhoek und Swakopmund in der Wüste Namibias?
Also gut, fangen wir die Geschichte einmal von vorne an:

Der Anfang
Eigentlich fing alles 2019 am Flughafen Frankfurt an. Ich war gerade auf dem Weg zu meinem
Freiwilligendienst in Namibia, ein durch und durch überzeugter Ruderer, der in seinem Leben
schon ganze zwei Mal über 100 Kilometer Rad gefahren war. Während ich am Gate wartete,
erzählte mir eine Diplomatin von einem MTB-Rennen in der Wüste Namibias. Klang eigentlich
ganz lustig.
Drei Monate später stand ich dann ohne Ahnung, einem 3×7-fach MTB, 400 Trainingskilomentern
und einer ordentlichen Portion Naivität das erste Mal als 2er-Team am Start des Desert Dash.
Irgendwie schafften wir es damals, die Ziellinie innerhalb der 24 Stunden zu erreichen. Aber schon
damals war klar: Es muss schneller gehen – und irgendwann auch solo.

Ein verhängnisvoller Mausklick
Zeitsprung zum 1. Oktober dieses Jahres: Wie jedes Jahr liebäugle ich mit der Anmeldeseite des
Rennens. In einer Stunde soll die Startgebühr steigen, und plötzlich trudelt eine
Anmeldebestätigung in mein E-Mail-Postfach ein. Jetzt brauche ich nur noch ein Fahrrad, etwas
Training und „ein paar Fahrradteile“.
In den nächsten Wochen bekomme ich von vielen freundlichen Menschen Ausrüstung geliehen
und kaufe die fehlenden Teile zusammen. So entsteht das vermeintlich perfekte Rad: Ein
Mondraker F-Podium Fully, ausgestattet mit einem 38er Aero-Rennradlenker und Triathlon-
Flaschenhalter hinter dem Sattel.
Nach einer etwas scherzhaften Nachricht à la „Guck mal, wozu ich mich angemeldet habe,
kommst du mit?“ finde ich in Claas Spiegelberg vom HRC einen Begleiter für die Reise. Doch kurz
vor der Abreise holt mich eine schottrige Linkskurve bei einer CTF im wahrsten Sinne des Wortes
auf den Boden der Tatsachen zurück: Ein Sturz. Der Gips verbannt mich vorübergehend auf die
Rolle. Zum Glück ist aber nichts gebrochen, und so finden wir uns pünktlich am 21. Dezember bei
kuscheligen 36 °C in Windhoek wieder.

Startschuss
„401 km, 3.400 Höhenmeter, 24 Stunden Zeitlimit, 1.100 Starter. Härtestes Eintages-MTB-Rennen
der Welt.“ Diese Worte hallen aus den Lautsprechern, während ich in der ersten Reihe stehe –
zwischen MTB-Profi und siebenfachem Sieger Konny Looser sowie zweifachem Munga-Gewinner
Drikus Cotzee. Ich sehe einige Blicke fragend in meine Richtung wandern und frage mich, ob sie
wohl Recht haben.
Punkt 14:30 bleibt keine Zeit mehr zum Wundern, denn der Startschuss tönt durch die Tiefgarage
der Grove Mall und schickt uns auf eine Reise nach Swakopmund, die rund ein Drittel der
Startenden nicht oder zumindest außerhalb des Zeitlimits schaffen werden. Der Kupferberg-Pass,
der einzige asphaltierte Streckenabschnitt, bringt die Herzfrequenz sofort auf Kriteriums-Niveau.
Oben angekommen, sind wir nur noch zu sechst – eine gute Gruppe aus Anwärtern auf die
vorderen Plätze. Gemeinsam kämpfen wir uns im gnadenlos heißen Gegenwind voran.

Am zweiten Wasserpunkt nach etwa 70 km halten wir kurz an. Wasserflaschen werden hektisch
nachgefüllt, Eiswürfel wandern in Flaschen und Trikots. Aus dem Chaos heraus attackiert Drikus
plötzlich. Konny und ein weiterer Fahrer springen hinterher. Ich bleibe mit zwei weiteren Fahrern
ein wenig dahinter zurück und wir pokerten darauf, dass sich die anderen drei gegenseitig
kaputtfahren und wir sie spätestens auf den flacheren Stücken ab der Hälfte gemeinsam wieder
einholen… Spoiler: Weit gefehlt!
Es dauert nicht lange, bis mein Körper die Nase voll von der Hitze, Höhe und ich-weiß-nicht-wasnoch
hat und auf Sparflamme umschaltet. Also bin ich auf einmal allein irgendwo im Nichts und viel
zu langsam unterwegs. So ist schon bald das wenige Wasser aufgebraucht, sodass mir nur noch
eine Flüssigkeit (aka Iso) bleibt, die mehr meinem Porridge vom Frühstück ähnelt, als echtem
Wasser.

In die Nacht
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich endlich den ersten Checkpoint. Wie durch Watte fülle
ich meine Vorräte auf, trinke ein winziges Schlückchen und esse genau eine Orangenscheibe, nur
um alles wenige Meter weiter wieder loszuwerden.
Die nächsten drei bis vier Stunden sind die härtesten Kilometer, die ich je auf zwei Rädern
zurückgelegt habe. Die Sonne geht unter, und ich schleiche im stetigen Auf und Ab der Strecke
voran. Das Essen habe ich mittlerweile aufgegeben, da ja sowieso nichts im Magen bleibt.
Irgendwann lege ich einen kurzen Stopp ein. Wenn mich zu dem Zeitpunkt jemand gefragt hätte,
was ich da mache, wäre wohl nur ein „musste mal“ zurückgekommen. Ehrlich gesagt weiß ich es
aber selbst nicht. Immerhin kann ich einen Moment das Licht ausschalten und die Sterne
beobachten; wie viele davon echt und wie viele eingebildet waren kann ich aber nicht mehr sagen.
Beim nächsten Wasserstopp nach rund 2-2,5h breche ich dann mein Fasten und stelle erfreut fest,
dass alles da bleibt, wo es hingehört. Ergänzend schafft es die sprühend gute Laune der Helfer am
Wasserpunkt, den inneren Nebel zumindest zeitweise zu vertreiben und so erreiche ich den
nächsten Checkpoint nach 180km im Sattel. Hier sehe ich das erste Mal wieder mein fleißiges
Support Team, die seit dem Morgen ihren Platz an der Strecke verteidigen und eine Rennaufgabe
nicht akzeptieren würden.

Geradeaus
Und so sitze ich dann erstaunlich schnell wieder im Sattel. Zu meiner großen Freude jetzt aber mit
Musik, deutlich flacherem Terrain und erträglichen 18°C.
Und somit bin ich wieder am Anfang der Geschichte. Die Kilometer fliegen gefühlt nur so dahin und
der Ehrgeiz schafft es, sich vom letzten glimmen wieder zu entfachen.
Mittlerweile liegen nur noch 180km vor mir und am nächsten Wasserpunkt flitzt auf einmal ein Licht
an mir vorbei. Mit der Melone noch halb im Mund nehme ich die Verfolgung auf und fange den
dazugehörigen Fahrer wieder ein. Ein Fahrer aus einem 2er Team, dessen Partner aufgegeben
hat, der aber trotzdem noch bis zum Ende der vorletzten Etappe fahren möchte. Er ist so
freundlich mich in seinem Windschatten mitzunehmen und die Linienwahl zu übernehmen, sodass
ich den Kopf auszuschalten und einfach über Steine, Sand, Felsen und Schotter hinterherfahren
kann.
Nach weiteren 40 Kilometern läuft ein Checkpoint erstmals wie geplant: Flaschen raus, neue rein,
Trinkblase auffüllen, Gels einpacken und weiter. Die restlichen Kilometer vergehen im Nebel
beinahe mühelos.

Endspurt?
Der wohl technischste Teil des Rennens führt durch einen kleinen Gebirgszug mit viel Sand, bei
dem Aufmerksamkeit und Linienkenntnis sowohl bergauf, als auch bergab gewaltige Unterschiede
bewirken können. Bei Tag schon eine spannende Aufgabe, bei Dunkelheit ein Spiel auf Messers
Schneide.
Aber immerhin spielen Kopf und Beine wieder mit, die Ziellinie ist quasi in Sicht und der letzte
Checkpoint vor ebendieser Etappe naht. Nichts kann mehr schiefgehen, bis auf… „WHERE THE
F*** IS MY SUPPORT CREW?!“.
Aufgrund des dichten Nebels und Verkehr haben sie es leider nicht geschafft, vor mir anzukommen
und so stehe ich nun etwas aufgeschmissen alleine da. Dankenswerter Weise versorgen mich
einige andere Support Teams und so finde ich mich wenig später mit einigem Frust im Bauch
wieder auf dem Rad in Richtung Ziel.
Vielleicht war es auch gar nicht so schlecht, einige Emotionen aus dem letzten Halt mitzunehmen.
Sie bringen mich nämlich deutlich schneller als erwartet durch die letzten Berge, sodass ich am
Ende des übergroßen Sandkastens im Sonnenaufgang noch ein 4er Team überhole.
Nun führt der Großteil der verbliebenen 20km bis zum Ziel über Salzstraßen und es gilt, alleine
gegen die vier Verfolger durchzuhalten (klar, man hätte auch mit ihnen zusammen fahren können
aber wo bleibt da der „Spaß“?).
Mit der Einfahrt nach Swakopmund kann ich noch ein weiteres 4er Team hinter mir lassen und
versuche, die letzten Meter am Meer etwas zu genießen.

Ziel
„Und auf Platz fünf kommt der wohl größte Fahrer des Dash ins Ziel!“ Mit diesen Worten werde ich
im Ziel begrüßt. Laut Tacho nach 399,57km in 16:20 Stunden mit 18 Minuten Standzeit.
In den nächsten Tagen gebe ich mein bestes, die verbrannten 12.000kcal in großen und
übergroßen Burgern wieder an ihren Platz zu bringen und meinen gefühlt um 50 Jahre gealterten
Körper wiederherzustellen.
An dieser Stelle nochmal ein riesiges Danke an sämtliche Unterstützung durch unglaublich viele
Leute und das annähernd perfekt organisierte Rennen. Ohne euch wäre es nie so weit gekommen,
ich müsste dann allerdings jetzt nicht diesen Bericht hier schreiben.
Und eigentlich wollte ich mit den Worten abschließen: „Das war hart, ich bin zufrieden und mache
das nie wieder.“ Aber… es gibt ja noch ein Podium zu vergeben.

Ciao!


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